Bei der Innenstadtgestaltung mehr Demokratie wagen
Laut einer Studie der Friedrich Ebert Stiftung aus dem Jahr 2008 glauben ein Drittel der Bürger nicht, dass Demokratie ihre Probleme lösen kann. Man kann sogar so soweit gehen zu sagen, dass Demokratieverachtung salonfähig wird. Viele der potentiellen Piraten-Wähler werden dieser zurzeit so boomenden Partei nur aus Protest ihre Stimme geben.
Beim Thema Innenstadtgestaltung können wir in Burgwedel ein Zeichen gegen Politikverdrossenheit setzen!
Die Politikverdrossenheit ist für jeden politisch Aktiven spürbar, ganz egal ob auf kommunaler oder auf Bundesebene. Das beste Rezept gegen eine weitere Distanzierung der Bürger von der Politik kann nur mehr Beteiligungsmöglichkeit sein.
Dass in Burgwedel nun bei einer so wichtigen Debatte wie zur Verschönerung unserer Innenstadt die Bürger aufgefordert werden sich zu beteiligen, ist im Grunde lobenswert. Doch mit einer Einladung zu Sitzungen, „Pseudo-Workshops“ und kurze Infos mit unkommentierten Fotos im Internet ist es nicht getan. Die Stadt hat hier die große Chance, durch eine breitere Beteiligung der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Kaum ein Thema ist dafür besser geeignet als die Gestaltung und langfristige Planung der Innenstadt, denn zu diesem Thema hat fast jeder eine Meinung, Wünsche oder Befürchtungen.
Manch einem Kommunalpolitiker grault es davor, all diese Meinungen und Wünsche zu erfahren. Da wird dann argumentiert, dass man es am Ende nicht allen Recht machen kann und man die Bürger deshalb lieber gar nicht so großartig einbeziehen sollte. Diese hochmütige Einstellung sollte aber zur Vergangenheit gehören. Gute Kommunalpolitik kann durchaus versuchen, einen Konsens auf Grundlage einer breiten Bürgerbeteiligung zu finden.
Die Politik kann durch transparentes Darstellen von Entscheidungsprozessen und der Schaffung von online- und offline Beteiligungsmöglichkeiten die Chancen der Mitwirkung nutzen. Beteiligung bedeutet: Verbesserungsvorschläge machen, Kritik üben, Ideen entwickeln und über Vorschläge mit Bürgern und Politikern auf Augenhöhe diskutieren.
Bislang gibt es in Burgwedel zum Beispiel keine Möglichkeit, online Kritik und Verbesserungsvorschläge zu äußern und in einen Dialog mit Politik oder Verwaltung zu gelangen, wenn man mal von der klassischen E-Mail absieht. Mit online-Beteiligung ist natürlich nicht der E-Mail-Verkehr gemeint, der ja nur eine andere Form der schriftlichen Kommunikation ist und eine Alternative zu Post oder Fax darstellt.
Ein gutes Beispiel für online-Beteiligung kommt vom Landkreis Friesland, der als erste kommunale Gebietskörperschaft Liquid Feedback als Instrument der Bürgerbeteiligung nutzen wird:
http://www.friesland.de/internet/page.php?site=901000735&typ=2
Mehr Demokratie wagen
Die Bevölkerung unserer Zeit ist allen Unkenrufen zum Trotz die gebildetste und dank Internet bestinformierte der Menschheit. Die Menschen sind darin trainiert, ihre Meinung zu äußern. Bürger werden zu fast allen Themen befragt und können durch das Internet teilhaben, mitbestimmen, bewerten und kommentieren. Unser demokratisches System ist hingegen zum größten Teil noch auf dem Stand wie zu Anfang der BRD 1949. Das gilt auch für die Kommunalpolitik. In Burgwedel gibt es die sogenannte "Einwohnerfragestunde" bei Rats- und Ausschusssitzungen, die alleine schon ihres Namens wegen nicht wirklich zur Beteiligung ermuntert. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie man sich das Verhältnis von Politikern zu Bürgern nach altertümlichen Bild vorzustellen hat: Der Bürger darf Fragen stellen, der Politiker (Experte) gibt die Antworten.
Die Beteiligung bei Einwohnerfragestunden reduziert sich nicht selten auf Beschwerden von Bürgern, die ganz unmittelbar von geplanten oder bereits umgesetzten Veränderungen betroffen sind. So ist es nicht verwunderlich, dass es sogar Politiker gibt, die selbst die wenigen Beteiligungsmöglichkeiten noch weiter einschränken, Redezeiten verkürzen und das Hausrecht stärken möchten.
Der gegenteilige Prozess muss gefördert werden, es müssen mehr Bürger für eine Beteiligung gewonnen werden! Nur so kann es gelingen, die Ressourcen und die Kompetenz der Bürger anzuzapfen, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und gemeinsam Lösungen zu finden, die auf Basis einer echten Mehrheit umgesetzt werden können.
Deshalb ist es wichtig, dass die Politik aktiv auf den Bürger zugeht, ihm Angebote zur Mitarbeit unterbreitet und ihn nach seiner Meinung fragt. Das Internet soll hier natürlich nicht als alleiniges Mitbestimmungswerkzeug dienen, sondern nur parallel zur offline-Beteiligung – die beispielweise über Fragebögen im Rathaus umgesetzt wird – dienen.
Man sollte aber nicht vergessen, dass die Mitwirkung bei einer Veranstaltung eine soziale Selektion darstellt. Beispielsweise haben beruflich stark eingebundene Personen, Eltern kleiner Kinder oder Menschen, die sich aus verschiedensten Gründen nicht trauen ihre Anliegen vor großem Publikum zu äußern, keine Chance mitzuwirken.
Eine breitere Beteiligung, auch auf Basis des Internets, zum Beispiel mit Abstimmungen und Diskussionen, würde entscheidende Erkenntnisse bringen.
Mein Eindruck ist, dass bei den bisherigen Veranstaltungen Interessensgruppen wie IGK und Anwohner besonders stark vertreten waren. Dass diese Gruppen mitreden ist natürlich erwünscht, aber die geäußerten Meinungen sollten nicht als allgemeine Ansichten interpretiert werden. Hier kann es erhebliche Unterschiede geben, was man am Beispiel der autofreien Von-Alten-Straße deutlich sieht.
Die Umgestaltung der Innenstadt kann ein Projekt der Bürger Burgwedels werden, wenn die Verwaltung und die Politiker sich trauen neue Wege zu gehen, ähnlich wie es der Landkreis Friesland vormacht.
Beste Grüße,
Stephan Nikolaus-Bredemeier
Zur aktuellen Diskussion über die Innenstadtgestaltung in Burgwedel